Wie für wahrscheinlich viele Junge Frauen war eine „harmlose“ Diät für mich damals der Einstieg in die Essstörung. Andere Betroffene versuchen auf unterschiedlichen Wegen, Gewicht zu verlieren, hungern oder betreiben exzessiv Sport. Bei mir hat sich die Krankheit zunächst in einem strikten Ernährungsplan widergespiegelt, der vorsah, dass besonders kalorienreiche Lebensmittel, vermeintlich böse Fette und Kohlenhydrate komplett gestrichen werden. Dies waren auch die Vorgaben meiner Diät, aber irgendwann bemerkte ich, dass ich in diesem Schubladendenken gefangen war und der Teufelskreis der Magersucht mich tief hinuntergezogen hatte.
Da es so viele Rückmeldungen von euch gab, die eine ähnliche Vergangenheit beschreiben, wie sie ihren Weg aus der Krankheit gefunden haben oder noch immer ihre täglichen kleinen Kämpfe gegen die Krankheit bestreiten, möchte ich noch einmal die Dinge mit euch Teilen, die mir langfristig geholfen haben diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Denn ich hätte es nie für möglich gehalten, aber Essen gehört mittlerweile zu den schönsten Dingen, die ich ohne ein schlechtes Gewissen und dafür mit viel Lebensfreude genießen kann. Auch körperlich fühle ich mich so fit, gesund und wohl wie noch nie! Dass ihr dieses neue Körper- und Lebensgefühl erlangt, wünsche ich euch von ganzem Herzen und hoffe euch vielleicht ein wenig auf diesem Weg begleiten zu können.
Irgendwann werdet ihr hoffentlich zu dem Punkt gelangen, an dem ihr auf euren Körper hören könnt und eine intuitive Ernährungsweise euren Alltag bestimmt. Doch bis dahin ist es ein längerer und nicht immer einfacher Weg. Aber wenn ihr gesund werden wollt, dann schafft ihr das auch!
1.DIE EINSICHT
Das ist auch tatsächlich die erste und fundamentale Einsicht, die ihr benötigt, um wirklich etwas zu verändern. Wenn dieser Wunsch rein fremdbestimmt ist und ihr dies nur eurem Umfeld zur Liebe macht, werdet ihr immer wieder Zweifel haben und unglücklich über eure Erfolge sein. Ihr geht diesen Weg für euch, für eure Gesundheit, für ein zwangloses und wunderschönes Leben. Wagt diesen Schritt – es lohnt sich!
Dieser ständige Wechsel von Ups & Downs hat mich so runtergezogen, dass ich irgendwann selbst etwas ändern wollte. Ich war es einfach satt, so viel Energie im Kampf gegen mich selbst zu verschwenden. Und erst nach dieser wichtigen Erkenntnis und MEINEM Wunsch etwas zu verändern, ging es langsam in winzigen Schritten voran.
2. ANFÄNGLICHE REGELN & STRUKTUREN
Oft erkranken sehr ehrgeizige und perfektionistische Menschen an einer Essstörung. Auch ich brauchte daher zu Beginn klare Strukturen, Regeln und Ziele. Ich brauchte etwas, an dem ich mich orientieren konnte, wenn meine Gefühlswelt mal wieder auf dem Kopf stand. Mit einer Ernährungsberaterin entwickelnde ich gemeinsam einen Wochenplan mit Nahrungsmitteln, die ich gerne mochte und mit denen ich dennoch ein paar zusätzliche Kalorien einbauen konnte. Ein Beispiel wäre, dass ich meinen Salat einfach mit etwas Mais oder Käse versucht habe gehaltvoller zu machen. Schritt für Schritt konnte ich so kleine Veränderungen angehen und lernte mit diesen umzugehen. Es war die Summe der vielen Kleinigkeiten, die mir eine grobe Richtung gaben und an denen ich mich entlang hangeln konnte. Außerdem war es für mich wichtig, dass ich regelmäßige Mahlzeiten zu mir nahm, weil mir viele kleine Snacks in Summe so viel vorkamen und ich das Gefühl hatte doch bereits genug gegessen zu haben. Lieber 3 oder 5 feste Mahlzeiten mit ausgewogenen Lebensmitteln.
3. DIE WAAGE VERBANNEN
Ich habe viel zu lange damit gewartet die Waage aus dem Bad zu verbannen. Bereits vor meinem Umzug nach Hamburg arbeitete ich stetig daran gesund zu werden. Doch jeder Blick auf die Waage und jede geringste Zunahme verunsicherte mich vorallem zu Beginn sehr. Obwohl ich wusste, dass es ein kleiner Erfolg war, fühle es sich in mir wie ein Misserfolg an und ich bekam Angst noch mehr zuzunehmen. Ich hatte mein Wohlbefinden so lange von dieser digitalen Anzeige abhängig gemacht, dass ich verlernt hatte auf mein Körpergefühl zu vertrauen.
Daher kann ich euch nur raten, dass ihr euch viel Verunsicherung erspart, wenn ihr die Waage verbannt. Ihr werdet Veränderungen eures Körpers spüren und irgendwann auch an eurer Kleidung erkennen. Das Gewicht ist wirklich so unbedeutend und daher solltet ihr euch davon frei machen.
Als kleinen Lichtblick kann ich euch verraten, dass wir mittlerweile wieder eine Waage besitzen und ich vielleicht jeden zweiten Monat mal den Status Quo checke. Dabei habe ich nie Angst vor der Anzeige, sondern bin eher überrascht, wie schnell sich das eigene Normalgewicht irgendwann einpendelt, wenn man einen normalen Umgang mit seiner Ernährung gelernt hat. Da ist kein Zeiger der ausschlägt, wenn ich am Abend eine Pizza gegessen habe. Mein Körper hat gelernt sich das zu holen was er braucht und intuitiv habe ich weniger Hunger, wenn ich am Vortag mehr gegessen habe. Auch regelmäßige Bewegung und der Aufbau von Muskulatur hat mir geholfen ein gutes Körpergefühl zu erhalten. Ich fühle mich fit, stark und gesund und das spiegelt keine Waage der Welt wieder.
3.KLEINE ZIELE SETZEN
Versuche dich in kleinen Schritten an eine zunächst undenkbare Aufgabe anzunähern. Wie wäre es mit einem Eis oder einem Besuch in einem Café? Das sind zum Beispiel kleine Schritte, die nicht unmöglich sind und einen näher an das Ziel bringen. Ziel sollte es nie sein dich nur zu überwinden etwas scheinbar „Verbotenes“ zu essen und sich danach trotzdem schlecht zu fühlen. Es geht vielmehr darum ein Umfeld und ein Erlebnis zu schaffen, dass dir vielleicht zunächst Angst macht, aber im Ganzen ein positives Erlebnis war.
Verabrede dich mit einer Freundin, macht einen kleinen Spaziergang und sucht euch eine schöne Eisdiele aus, die euer Ziel ist. Setzt euch auf eine Parkbank und quatscht über den neuesten Gossip. Lenk dich ab, wenn du es brauchst oder teile ihr ganz offen deine Gefühle mit. Je mehr dieser Momente du dir erlaubst, desto eher wirst du sie genießen können.
4. GENUSS NEU ERLERNEN
Lange habe ich Lebensmittel nicht nach ihrem Geschmack bewertet, sondern nach ihrer Kalorienanzahl. Je weniger irgendwo enthalten waren, desto besser hat mir das Produkt geschmeckt. Die Kalorienanzahl musste daher in den Hintergrund rücken und der Geschmack musste wieder die Oberhand gewinnen. Was schmeckt dir wirklich gut und bereitet es dir eventuell sogar Freude neue Rezeptideen selbst auszuprobieren?
Noch bis heute ist es so, dass mich schlechtes Essen nicht glücklich macht und ich esse weder unter Zeitdruck, noch einfach aufgrund der Tatsache, dass ich meinen Magen irgendwie füllen muss. Ich möchte, dass mir das Gericht schmeckt und mir ein gutes Gefühl gibt. Daher probiere ich verschiedenste Gerichte aus und bin unglaublich stolz, wenn ich ein neues Lieblingsgericht entdeckt habe. In meiner Familie haben wir daher eingeführt, dass meine Schwester und ich jeden Sonntag für uns alle gekocht haben. Somit hatten wir freie Hand mit der Wahl der Gerichte, konnten dies gemeinsam planen und im Kreis der Familie ein schönes Ritual rund um das schwierige Thema Essen einführen.
Wenn du selbst nicht so gerne experimentierst, kannst du auch schauen ob du Genuss in einem Restaurant in der Nähe neu erlernen kannst. Hier musst du einfach auf dich hören und schauen womit du dich gut fühlst.
5. DAS UMFELD WECHSELN ODER EINBEZIEHEN
Ich würde sagen, dass der wohl größte Schritt in die richtige Richtung mein Umzug nach Hamburg war. Erst nachdem ich mich aus meinem gewohnten Umfeld gelöst hatte, auf mich allein gestellt war und neue Menschen traf, die eben nichts von meiner Erkrankung wussten, hatte ich das Gefühl nicht stetig beurteilt zu werden. Denn obwohl alle mein bestes wollten, habe ich mich bei jeder Mahlzeit beobachtet gefühlt. Somit hat mich Essen in Gesellschaft oft unter Druck gesetzt, obwohl diese Gedanken nur in meinem Kopf stattfanden.
Durch diesen Neuanfang hatte ich die Möglichkeit zu entscheiden, wie ich mit der Krankheit umgehen möchte und tatsächlich hat es einige Jahre gedauert, bis ich auch Sonja und Kira davon erzählt habe. In der Zwischenzeit haben wir immer mehr Zeit miteinander verbracht und ich konnte mich an dem normalen Umgang zum Essen der beiden orientieren. Das hat mir persönlich sehr geholfen zu sehen, dass sie beim Italiener Brot mit Olivenöl aßen, bevor wir eine Pizza bestellten und vielleicht sogar noch einen Nachtisch verputzen. All das schien lange Zeit für mich so fern und mit den beiden fühlte es sich so normal an! Außerdem sah ich ja auch, dass sie all die Lebensmittel essen konnten ohne schlagartig zuzunehmen.
Dieser entspannte Umgang mit Essen und unsere Freundschaft motivierten, bekräftigte und stärkten mich so sehr, dass ich mich den beiden irgendwann auch anvertrauen konnte.
Doch sollte es euch nicht so einfach möglich sein euch von eurem Umfeld zu lösen, macht es Sinn euer Umfeld zu sensibilisieren. Gibt es Tabuthemen, die ihr lieber nicht besprechen möchtet? Seid ehrlich und lasst euch helfen. Eure Liebsten würden alles tun um euch zu helfen, doch ihr müsst ihnen auch die Change dazu geben und zeigen, womit ihr euch wohl fühlt.
6. DEN FOKUS AUF SCHÖNE DINGE LENKEN
Die meisten Betroffenen ziehen sich während ihrer Essstörung immer mehr zurück. Geh raus und unternimm etwas mit der besten Freundin. Das kann eine gute Ablenkung sein, die dich auf andere Gedanken bringt. Außerdem kann es helfen Abstand vom Thema Magersucht gewinnen: Konzentrier dich wieder mehr auf deine Hobbys, die dir vor der Erkrankung Freude bereitet haben. Wenn man erst mal wieder etwas anderem als der Essstörung Platz im Leben gibt, fällt es oft leichter, die Krankheit loszulassen, weil man quasi einen guten „Ersatz“ dafür gefunden hat.
Aber die wirklich größte Veränderung hat meine Wahrnehmung rund um das Thema Lebensmittel gebracht. Natürlich vergisst man nicht auf Knopfdruck welche Kalorien in bestimmten Nahrungsmitteln stecken und auch die Kategorisierung in vermeintlich gut und schlecht nimmt nur langsam ab. Doch je mehr ihr eure Sichtweise dahingehend trainiert, dass Nahrung nicht der Feind ist und Kalorien allein dick machen, desto größer ist die Change, dass Nahrung irgendwann mit positiven Emotionellen verknüpft werden kann.
Es geht nicht nicht darum einige Kilos zuzunehmen und dann wird man schon wieder gesund. Es geht darum deinem Körper die Energie, Vitamine, Mineralien usw. zu geben, die er benötigt, um gesund und vital zu sein. Diese Inhaltsstoffe sind es, die für den Körper relevant sind und nicht die reinen Kalorienangaben. Daher zähle ich schon lange keine Kalorien mehr und schenke ihnen auch selten Beachtung. Ich versuche einfach qualitative, gesunde und wohltuende Lebensmittel zu verwenden, weil ich mir damit etwas gutes tun möchte. Und dieses gute Gefühl, dass ich durch Essen erreichen möchte, zieht sich wie ein roter Faden durch meine Ernährungsweise. Mir hat es geholfen Lebensmittel nicht auf ihren Energiewert zu reduzieren, sondern auf den Geschmack und ihre Inhaltsstoffe. Was schmeckt mir gut und tut mir auch gut? Wenn ihr für diese Herangehensweise Platz schaffen könnt, habt ihr bereits einen unglaublich großen Schritt geschafft. Ihr werdet mit der Zeit feststellen, dass ein guter Geschmack irgendwann sogar zu Genuss werden kann und wohltuende Speisen euch ein gutes Körpergefühl geben werden.
Dann irgendwann werdet ihr auch keine Furcht mehr vor Kalorien haben, denn diese verlieren in diesem Zusammenhang sehr stark an Bedeutung.
Ich hoffe wirklich sehr, dass ich euch ein kleines bisschen mit meinen Erfahrungen helfen kann. Es ist ein langer Weg, aber ich verspreche euch, ihr schafft das und es lohnt sich!
Solltet ihr noch Fragen oder weitere Ratschläge haben, teilt sie immer gerne mit uns oder der Community. Ihr könnt und immer über Instagram schreiben oder hier einen Kommentar hinterlassen. Ihr seid mit diesen Gedanken und Problemen nicht allein <3
[Maike]